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<title>Von Kruzifixen und Gerichtssälen</title>
<meta name="author" content="Magnus Achim Deininger" />
<meta name="description" content="Gestern auf Twitter gab's da doch was längeres. Und hier gibt's daher mal eine Zusammenfassung. Oh, schon wieder in deutsch! Wo führt das hin!?" />
<meta name="date" content="2013-05-10T12:39:00Z" />
<meta name="mtime" content="2013-05-10T12:39:00Z" />
<meta name="category" content="Articles" />
<meta name="unix:name" content="kruzifixe-und-gerichtssaele" />
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<h1>Merkwürdiger Nebenfokus beim NSU-Prozess</h1>
<p>Gestern war ja wieder irgendsoein christlicher Feiertag. Wie alle anständigen Heiden habe ich da natürlich gearbeitet, und in der Kaffeepause <a href="http://twitter.com/jyujinX">mein Twitterfeed</a> gelesen. Und, wie wir ja alle mitbekommen haben, gibt es da gerade diesen Prozess um Beate Zschäpe und den NSU. Mordserie an türkischen und griechischen zivilen Mitbürgern und einer Polizistin. Recht brutal. Nicht gut, aber verfolgenswert. In dem Zusammenhang ploppte also dieser Tweet auf meiner Timeline auf:</p>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>Töricht! Mit dieser Forderung wird Anti-Islam gefördert! Türkischer Politiker kritisiert Kruzifix im Gerichtssaal <a href="http://t.co/1AoHgjpGFM" title="http://www.tagesspiegel.de/politik/nsu-prozess-tuerkischer-politiker-kritisiert-kruzifix-im-gerichtssaal/8180838.html">tagesspiegel.de/politik/nsu-pr…</a></p>— Erika Steinbach (@SteinbachErika) <a href="https://twitter.com/SteinbachErika/status/332479424182235138">May 9, 2013</a></blockquote>
<p>Wie man sich vorstellen kann, folgte eine sehr lange Twitterdiskussion hierzu, an der sich Frau Steinbach auch eifrigst beteiligt hat. Glücklicherweise ist das nicht in einen Shitstorm ausgeartet - naja, nicht wirklich - das würde ich wirklich niemandem wünschen. Ich habe jetzt, wie man sich vorstellen kann, einige Probleme mit dieser Aussage, die ich hier noch einmal erörtern und festhalten möchte. Um es aber noch einmal klarzustellen: Ich habe kein persönliches Problem mit Frau Steinbach. Nur hatten wir auf Twitter ganz offensichtlich eine persönliche Meinungsverschiedenheit. Ich respektiere sie aber trotzdem, und fand es sehr begrüßenswert, dass sie auch auf Twitter zu ihrer Meinung steht und diese verteidigt, auch wenn ich mich dieser nicht anschließen kann.</p>
<h1>Glauben ist Privatsache!</h1>
<p>Als ich damals aufgewachsen bin, haben meine Eltern bestimmt einiges falsch gemacht. Aber eines haben sie hingekriegt: Toleranz und Respekt waren Kernpunkte der Erziehung. Aber das gilt in alle Richtungen - Christen haben hier keine Sonderstellung. Genau aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass christliche Symbole nicht in öffentliche Gebäude gehören - insbesondere nicht in Gerichtssäle. Vor allem, wenn wir uns dann auch noch anmaßen, muslimischen Lehrern ihre Kopftücher in der Schule verbieten zu wollen!</p>
<p>Wie Frau Steinbach mehrmals richtig erwähnt hat, gibt es in der Präambel einen Gottesbezug. Das ist aber keinesfalls unumstritten - <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4ambel_des_Grundgesetzes_f%C3%BCr_die_Bundesrepublik_Deutschland#Gottesbezug">für Interessierte steht dazu einiges auf Wikipedia</a>. Allein schon, wenn man sich zum Beispiel <a href="http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_225_report_en.pdf">den Eurobarometer von 2005</a> ansieht. Auf Seite 9 steht ganz klar: nur 47% der Deutschen glauben, dass es einen Gott gibt. Und persönlich habe ich das Gefühl, diese Zahl hat abgenommen in den vergangenen Jahren.</p>
<p>Ich finde auch die Aussage, dass der christliche Glaube als Kulturgut für deutsche Bürger gelten sollte, recht heikel. Es ist ja nicht so, als wären germanische Völker damals nicht gewaltsam missioniert worden! Oh halt, sind sie. Die waren nämlich früher polytheistische Heiden unter dem Pantheon aus Asgard. Aber das ist für diese Diskussion auch absolut irrelevant, denn ein Gerichtssaal ist so oder so kein passender Ort, um Kulturgüter zu präsentieren, wie es Herr Engels so schön ausdrückt:</p>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>.@<a href="https://twitter.com/steinbacherika">steinbacherika</a> wie kommen Sie denn darauf, dass Gerichtssäle geeignete Orte für die Darstellung religiös motivierter "Kulturgüter" seien?</p>— Jan-Alexander Engels (@Jan_Engels) <a href="https://twitter.com/Jan_Engels/status/332488653798535170">May 9, 2013</a></blockquote>
<p>Sind Sie nämlich nicht. Die Funktion eines Gerichtssaals ist es, dass in ihm gerichtet wird. Und zwar nicht von Geistlichen, sondern von Richtern, die religiös unabhängig zu sein haben. Das steht nämlich auch im Grundgesetz. Zusammen damit, dass alle auf deutschem Grund ein Recht auf Religionsfreiheit genießen.</p>
<h1>Etwas unsensibel ist das leider auch noch</h1>
<p>Unabhängig davon, dass es schlechter Stil ist, jedwede religiösen Symbole in einem Gerichtssaal zu präsentieren, finde ich es in diesem Kontext eine noch unsensiblere Problematik als sonst.</p>
<p>Worum geht es in diesem Prozess? Um eine Mordserie. Der Großteil der Mordserie war aus fremdenfeindlichen Motiven. Insbesondere an türkischen Mitbürgern. Es ist statistisch wahrscheinlich, dass mindestens einer oder mehrere dieser Mitbürger Muslim war - ich weiß es nicht, aber es ist nicht weit hergeholt. Die Morde werden einer <em>nationalsozialistischen Terrorgruppe</em> zugeschrieben...</p>
<p>... und was symbolisiert ein Kruzifix? Einen am Kreuz sterbenden Jesus. Jesus war Jude... und ich glaube, ich muss jetzt nicht nochmal die Geschichte um die '30er und '40er hier im Lande wiederholen. Das ist schon eine starke Ansage. Auf jeden Fall kein guter Beigeschmack in diesem Kontext. Also, wenn ich nicht Atheist wäre, sondern vielleicht Muslim, dann hätte ich mit der Prämisse schon so meine Zweifel daran, ob da ein fairer Prozess läuft. Und wenn wir den Teil ignorieren, dann bleibt immer noch einige Jahrhunderte an Geschichte, in denen die Christen Kreuzzüge gegen die Muslime geführt haben.</p>
<p>Wirklich, etwas mehr Taktgefühl hätte man hier schon erwarten können!</p>
<h1>Einen hatte ich noch: die 10 Gebote</h1>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>@<a href="https://twitter.com/jyujinx">jyujinx</a> @<a href="https://twitter.com/der_dutschi">der_dutschi</a> @<a href="https://twitter.com/derbebaar">derbebaar</a> Moralische und ethische Grundlagen liefert Religion. Die 10 Gebote sind beste Grundlage</p>— Erika Steinbach (@SteinbachErika) <a href="https://twitter.com/SteinbachErika/status/332501617062592512">May 9, 2013</a></blockquote>
<p>Hier ist mein Problem damit: die 10 Gebote sind keine gute Grundlage für friedliches Zusammenleben. Allein schon der Wortlaut selbst lässt es einem kalt über den Rücken laufen. Jetzt einfach mal zum Beispiel <a href="http://www.bibleserver.com/text/EU/2.Mose20.5">Exodus 20, Satz 5</a>:</p>
<blockquote cite="http://www.bibleserver.com/text/EU/2.Mose20.5"><p>Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. <em>Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation;</em></p></blockquote>
<p>Ähem!! Ich darf mal husten! Ich will nicht bezweifeln, dass die Grundaussagen vielleicht garnicht so schlecht sind, aber <a href="http://www.youtube.com/watch?v=p-RGN21TSGk">da lässt sich einiges kürzen ohne den Grundgedanken zu verändern</a>. Das schaut dann so aus:</p>
<blockquote cite="http://www.amazon.de/When-Will-Jesus-Bring-Chops/dp/140130821X/"><p>First: THOU SHALT ALWAYS BE HONEST AND FAITHFUL, ESPECIALLY TO THE PROVIDER OF THY NOOKIE.<br/>
And second: THOU SHALT TRY REAL HARD NOT TO KILL ANYONE, UNLESS, OF COURSE, THEY PRAY TO A DIFFERENT INVISIBLE AVENGER THAN THE ONE YOU PRAY TO.<br/>
Two is all you need, folks. Moses could have carried them down the hill in his pocket. And if we had a list like that, I wouldn't mind that brilliant judge in Alabama displaying it prominently in his courthouse lobby. As long he included one additional commandment:<br/>
THOU SHALT KEEP THY RELIGION TO THYSELF!!!</p></blockquote>
<p>Das war aus <a href="http://www.amazon.de/When-Will-Jesus-Bring-Chops/dp/140130821X/">"When will Jesus bring the Pork Chops" - George Carlin, Hyperion Verlag, 2004</a>. Oder eben, wie es meine Frau so schön sagte:</p>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>@<a href="https://twitter.com/steinbacherika">steinbacherika</a> @<a href="https://twitter.com/jyujinx">jyujinx</a> Ich brauche aber keine Religion, um Moral zu haben oder ethisch zu handeln, das geht auch als Agnostiker recht gut.</p>— machinelady (@machine_lady) <a href="https://twitter.com/machine_lady/status/332504813017391105">May 9, 2013</a></blockquote>
<h1>Wir sind dann doch noch am Ende etwas abgeschweift</h1>
<p>Der Originalfokus der Diskussion ist dann doch etwas abgedriftet. Wie ja bereits erwähnt, sind wir in Deutschland eigentlich nicht wirklich Christen. Weder ursprünglich gesehen, noch wirklich im Moment, wenn man sich die Statistik ansieht. Da fand ich diese Aussage dann doch ein etwas hartes Stück:</p>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>@<a href="https://twitter.com/jyujinx">jyujinx</a> Unser GG enthält den Gottesbezug. Allah ist da nicht gemeint</p>— Erika Steinbach (@SteinbachErika) <a href="https://twitter.com/SteinbachErika/status/332495568586829824">May 9, 2013</a></blockquote>
<p>Meine Antwort dazu war natürlich abzusehen:</p>
<blockquote class="twitter-tweet"><p>@<a href="https://twitter.com/steinbacherika">steinbacherika</a> Allah ist der gleiche Gott. Der gleiche wie YHWH. Steht sogar im Koran. Im Gegensatz zur Bibel fordert der auch Toleranz.</p>— Magnus Deininger (@jyujinX) <a href="https://twitter.com/jyujinX/status/332496200131555329">May 9, 2013</a></blockquote>
<p>Anscheinend hat das gesessen. Das gab ungewöhnlich viele Favourites - wirklich. Muss man glaube ich tatsächlich nicht mehr viel dazu sagen. Protip: ich bin übrigens für Säkularisierung.</p>
<p>Leute, im Ernst. Ich bin kein Christ, kein Muslim und möchte auch als Deutscher nicht mit einer der beiden Religionen in Verbindung gebracht werden. Aber verdammt, falls ihr einer der beiden Gruppen angehört: <em>Ihr glaubt alle an den gleichen Gott!</em> Was soll das Gezanke? Jetzt zeigt ein bisschen Rückgrat, hängt das Kreuz ab und lasst es gut sein! Wie Herr Tanal sagte, handelt es sich beim Oberlandesgericht in München nicht um ein religiöses Tribunal! Da könnten wir ja gleich die Verhandlung in einer Kirche abhalten!</p>
<p>Und, äh, mal ganz im Ernst, ich kann immernoch nicht nachvollziehen, wie das ganze "Anti-Islam" fördert? Vielleicht "Anti-Christentum"? In diesem Sinne, möge Odin den Richtern seinen Segen spenden! ;-)</p>
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