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Über die „Organismen der Meteorit“.

Von Anton Rzehak in Brünn.

Als mir in der Herber vorigen Jahres Dr. O. Hahns Werk über de „Meteorit und ihre Organismen“ in die Hände kam, da war ich mir der Wichtigkeit wohl bewusst, welche der Nachweis unzweifelhafter Organismen in Meteorsteinen für die Kosmogonie haben müsste. Nach Durchlesung des genannten Werkes musste ich mir jedoch gestehen, dass dieser Nachweis bisher noch keineswegs mit der wünschenswerten Sicherheit erbracht worden ist; dieselbe Meinung glaube ich auch in meinem Auditorium erweckt zu haben, als ich in der Märzsitzung des naturforschenden Vereines in Brünn über Dr. Hahns Werk referierte.

Ich war ursprünglich nicht gesonnen, die Ansicht, welche ich mir über die „Organismen“ der Meteorit gebildet habe, auf diesem Wege bekannt zu geben; ich dachte mir, dass die die Fachkreise sich ohnedies ihr selbständiges Urteil bilden würden und Laien das Hahn'sche Buch seines durch die Ausstattung bedingten hohen Preises wegen nur selten in die Hände bekommen. Zur Mitteilung vorstehender Zeilen sehe ich mich durch die in Nr. 16 dieser Zeitschrift von Dr. D. Fr. Weinland unter dem Titel „Korallen in Meteorsteinen“ veröffentlichte Notiz veranlasst.

Bisher war mir überhaupt nur eine Kritik des Hahn'schen Werkes bekannt geworden, und das ist jene, welche die französische Akademie in der Sitzung vom 3. Januar 1881 geübt hat. Eine französische Wochenschrift (L'Illustration) hat diese Kritik unter dem Titel „Une erreur de savant allemand“ ihrem Leserkreis mitgeteilt. Dumas, welcher das Hahn'sche Buch vorgelegt und besprochen hatte, wies zuerst darauf hin, dass man nach Stan. Meunier ganz ähnliche Formen, die Hahn für Organismen hält, auf künstlichem Wege erhalten könne. Es scheint Herrn Dumas gelungen zu fein, die Akademie von der Unrichtigkeit der Hahn'schen Ansicht zu überzeugen, denn „L'Illustration“ spricht von einem „succès de rires unanimes“.

Ich erwähne gleich hier, dass ich Gelegenheit hatte und auch jetzt noch jeden Augenblick Gelegenheit habe, mehrere Prachtexemplare von Organismen (3) an Dünnschliffen des Meteoriten von Tieschitz in Mähren (15. Juli 1878) zu untersuchen dass mich also der Vorwurf, nur nach den unvollkommenen, „zu wenig“ darstellenden photographischen Tafeln des Hahn'schen Werkes geurteilt zu haben, nicht treffen kann.

Dr. O. Hahn bezeichnet die Chondrit als einen „Filz von Tieren, ein Gewebe, dessen Maschen alle lebendige Wesen waren“; Herr Dr. Weinland erkennt in den fraglichen Einschlüssen, die man mit Gümbel kurz als „Chondren“ bezeichnen kann, ebenfalls „unzweifelhafte Tierreste“. Um allen jenen, welche Hahns Werk nicht selbst gelesen haben, von der Unzweideutigkeit dieser „Tierreste“ gleich von vorneherein einen kleinen Begriff zu geben, führe ich hier an, dass der größte Teil der „Tiere“ vor nicht langer Zeit von Herrn Dr. Hahn für — Pflanzen gehalten wurde!

Auf S. 20 seines Werkes stellt Herr Dr. Hahn fünf Bedingungen auf, an deren Erfüllung sich nach seiner Ansicht der Beweis der organischen Natur der Chondren knüpft. Diese Bedingungen sind:

  1. Eine geschlossene Form.
  2. Eine wiederkehrende Form.
  3. Wiederkehren der Form in Entwicklungsstufen.
  4. Struktur (Zellen oder Gefäße).
  5. Ähnlichkeit mit bekannten Formen.

Was zunächst die „geschlossene“ Form anbelangt, so soll das Wort „geschlossen“ wohl einen bestimmten, mit der Struktur im Einklang stehenden Umriss andeuten. Für die „Organismen“ des Tieschitzer Meteoriten muss ich eine in diesem Sinne geschlossene Form in Abrede stellen.

Das „Wiederkehren“ derselben Form kann doch unmöglich ein Argument zur Beurteilung der organischen oder nicht organischen Natur der Chondren abgeben. Viele mikroskopische Mineraleinschlüsse zeigen „geschlossene“ und „wiederkehrende“ Formen, ohne dass man in ihnen Organismenreste vermutet.

Betreffs der „Wiederkehr der Form in Entwicklungsstufen“ spreche ich mich ganz entschieden dahin aus, dass es „Entwicklungsstufen“ in dem Sinne, wie sie Herr Dr. Hahn nimmt, nicht gibt und auch gar nicht geben kann. Es ist wohl nicht zu leugnen, dass man zwischen den einfachsten, ungegliederten und den komplizierteren Formen der Chondren eine Übergangsreihe herstellen kann; die so resultierende Entwicklungsreihe kann jedoch keineswegs eine phylogenetische (im Sinne der organischen Naturwissenschaften) genannt werden, und wenn Herr Dr. Hahn seine Krinoiden aus den Korallen und diese wieder aus den Schwämmen „durch Vermehrung der Kanäle“ entstehen lässt, so ist dies ein Vorgang, der mit dem, was wir über die Phylo- und Ontogenie der Protozoen, Cölenteraten und Echinodermen wissen, gänzlich unvereinbar ist. Gerade der auf S. 33 des Hahn'schen Werkes hervorgehobene „einheitliche“ Typus der meteoritischen Organismen und der Umstand, dass sämtliche Formen in eine Übergangsreihe gestellt werden können, scheinen mir gewichtige Argumente gegen die organische Natur der Chondren zu bilden. Welcher Zoologe oder Paläontologe wird in den Spongien, den Korallen und den Krinoiden einen einheitlichen Typus erblicken?

Die „Struktur“ der Chondren gemahnt allerdings im großen Ganzen an gewisse Röhrenkorallen, und kann man auch einem Laien, wenn man nachsichtig sein will, die Verwechslung mit den terrestrischen Favositen verzeihen. Manche Chondren zeigen keine Gliederung; diese werden als die primitivsten betrachtet und sowohl von Dr. Hahn als auch von Dr. Weinland für Schwämme gehalten. Macht sich eine Gliederung in mehr oder weniger radial verlaufende Säulchen bemerkbar, so entsteht, namentlich wenn auch Querscheidenwände vorhanden find (was durchaus nicht immer der Fall ist), eine „unzweifelhafte“ Röhrenkoralle. Zieht sich durch die quergegliederten Säulchen ein zentraler Längskanal hindurch, so ist der „unzweifelhafte“ Krinoide fertig. Die Entwicklung geht manchmal so rapid vor sich, dass aus einem Schwamm direkt ein Krinoide entsteht. Ein solches Avancement machte z. B. das von Dr. Hahn auf Tafel 30, Fig. 5 abgebildete Exemplar mit; es ist dies ein „unzweifelhafter“ Krinoide, der mit allem Stolze eines Parvenu auf die dunklen Tage zurückblicken darf, welche er als „Schwamm“ in der Sammlung des Herrn Dr. Hahn verlebte. Gümbel hat die Struktur der Chondren, die ich als „Favositoid“ bezeichnen will, mit der Struktur der Hagelkörner verglichen, ein Vergleich, der in jeder Hinsicht treffend genannt werden kann. Die Excentricität des Ausstrahlungspunktes der Fasern ist wohl Regel, doch fand ich im Tieschitzer Meteoriten auch einen Einschluss, in welchem sich die Fasern innerhalb des Kügelchens treffen. Auch die Beobachtung Gümbels, dass in manchen Kügelchen (Chondren) „gleichsam mehrere nach verschiedenen Richtungen hin strahlende Systeme“ vorhanden find und dadurch eine „scheinbar wirre, stänglige Struktur“ zum Vorschein kommt, konnte ich mehrfach bestätigen. Die favositoide Struktur der Chondren ist nur eine seiner Ausbildung des auch an anderen Einschlüssen der Chondrit vorkommenden „säuligen“ Baues; den letzten konnte ich an einem Feldspat (?) beobachten, dessen geradlinige Umrisse ziemlich deutlich erkennbar find; die Lamellen, resp. Säulen, find hier wohl nicht radial angeordnet, jedoch dadurch besonders interessant, dass in der Mitte derselben mehrere in eine Längsreihe angeordnete runde Glaseinschlüsse sich bemerkbar machen. Solche kleinen Einschlüsse find es offenbar, die für Perforationen gehalten wurden, analog denen, wie sie an den Röhrenwänden der Favositen vorkommen. Manchmal verschwimmen die einzelnen rundlichen Tröpfchen zu einem scheinbaren, die Mitte der Säule durchziehenden Kanale. Die vermeintlichen Wandöffnungen finden sich auch dort, wo keine Querscheidewände die „Korallenröhre“ abteilen. Die Querscheidewände sehen überhaupt sehr oft, und wo sie entwickelt find, geben sie sich durch die Unregelmäßigkeit und Unbestimmtheit ihres Auftretens als einfache Querklüfte zu erkennen, wie ich sie in makroskopischer Ausbildung am Enstatit von Zdjar und an den Turmalinsäulen von Rozna in Mähren beobachten konnte. Unmöglich kann man die „Querscheidewände“ der Chondren als wirkliche, durch organische Tätigkeit gebildete und den Dissepimenten der terrestrischen Korallen analoge Querwände betrachten. Gümbel, der mit mikropaläontologischen Untersuchungen vertraut ist, würde die organische Struktur der „zierlich quergegliederten Fasern“ gewiss erkannt haben, wenn man es hier überhaupt mit einer solchen zu tun hätte.

Was nun endlich die Ähnlichkeit der Chondren mit bekannten Formen anbelangt, so ist dieselbe höchstens eine äußerliche. Kann ein Gegenstand, den man zuerst für eine Pflanze, dann für einen Seeschwamm und endlich für einen Krinoiden erklärt, mit einer „bekannten Form“ Ähnlichkeit haben? Ich bin überzeugt, dass sich niemand von diesem Proteus eine deutliche Vorstellung zu bilden vermag.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die fünf von Herrn Dr. Hahn ausgestellten Bedingungen keineswegs den Beweis einer tierischen Natur der Chondren in sich schließen. Wenn (S. 33) die „Vergesellschaftung gleicher Formen“ als ein „erhebliches Beweismoment“ für die organische Natur hingestellt wird, so find mit demselben Grade von Wahrscheinlichkeit die Augitkristalle einer Lava oder die Häuser einer Stadt als Organismen zu betrachten. Wie kommt es übrigens, dass Herr Dr. Hahn die organische Natur des Eozoon canadense leugnet, obwohl dieses alle die von ihm ausgestellten Bedingungen erfüllt? Die primitivsten Formen der Chondren erklärt Dr. Hahn, wie bereits bemerkt, für Schwämme, und fasst sie unter dem Namen „Urania“ zusammen; er findet eine große Verwandtschaft derselben mit terrestrischen Formen, und erkennt sogar das Genus Astrospongia (!). Anwachstellen und Mundöffnungen vermag er an den Dünnschlissen seiner Schwämme ganz deutlich zu unterscheiden. Undeutliche Gewirre kleiner Kristallleistchen hält Herr Dr. Hahn für Nadelgerüste von Spongien; bei einem eventuellen „Avancement“ einer solchen Nadelspongie zu einem Krinoiden können die Nadeln natürlich unmöglich Nadeln bleiben, sondern müssen nolens volens zu Krinoidenarmen werden. Dass Herr Dr. Hahn solche zoologischen Eskamotagen, die dem enragiertesten Darwinianer das Blut in den Adern erstarren lassen, wirklich durchgeführt hat, davon beliebe man sich auf S. 25 seines Werkes zu überzeugen. Jedenfalls wird dadurch die „Unzweifelhaftigkeit“ der tierischen Natur der Chondren in ein ganz eigentümliches Licht gestellt.

Was die „Korallen“ anbelangt, so ist eine Vergleichung oder gar Identifizierung derselben mit terrestrischen Formen nicht zulässig; da die meisten „Stöcke“ nur Bruchteile von Millimetern im Durchmesser aufweisen, so kommen den einzelnen „Polypenröhren“ so geringe Dimensionen zu, dass wir kaum berechtigt find anzunehmen, dass diese mikroskopischen Stöcke von Tieren bewohnt waren, die eine nähere Verwandtschaft mit den terrestrischen Anthozoen befassen. Aus diesem Grunde hat auch Herr Dr. Weinland die „Favositen“ der Chondrit zu einem neuen Genus, welches er „Hania“ nennt, erhoben.

Becher-, Röhren- und Sternkorallen unterscheiden zu wollen, scheint mir von Herrn Dr. Hahn, abgesehen von allem anderen, doch zu weit gegangen zu sein.

Die Krinoiden finden sich nach Dr. Hahn „von der einfachsten Form eines gegliederten Armes angefangen bis zum ausgebildeten Krinoiden mit Stiel, Krone, Haupt- und Hilfsarmen“. Als Krinoiden werden z. B. die Figuren 1 und 2, Tafel 25, angesprochen; sie sehen jedoch gar nicht danach aus, indem die angeblichen Krinoidenarme überall gleich breit und durchaus einfach find, während sie sich ja doch bekanntlich in Wirklichkeit von der Krone weg zuspitzen und gewöhnlich auch verzweigen. Die Gliederung der „Arme“ ist so unregelmäßig und unvollkommen, dass dadurch niemand, der einen Krinoiden kennt, an einen solchen gemahnt wird. Die „Knickung“ der Arme lässt sich nach Dr. Hahns Ansicht nur bei Krinoiden denken; wäre diese Knickung nicht da, so hätte Herr Dr. Hahn den unzweifelhaften Krinoiden vielleicht für eine ebenso unzweifelhafte — Koralle erklärt! Nachdem ich einen der bereits erwähnten, quergegliederten Enstatitkristalle ebenfalls geknickt finde, muss ich denselben wohl auch als „Krinoidenarm“ betrachten?

Manche „Krinoiden“ bestehen nach Herrn Dr. Hahn „bloß aus einer beliebigen Anzahl von Armen“; die Stiele und Kronen scheinen also diesen Krinoiden zu fehlen, und finde ich es deshalb vollkommen gerechtfertigt, wenn sie Herr Dr. Hahn als eine „besondere Art“ hinstellt. Diesen „besonderen“ Krinoiden könnte etwa ein Fisch, der nur aus Flossen besteht, würdig zur Seite gestellt werden.

Es dürfte für Viele von Interesse sein, zu erfahren, dass Herr Dr. Hahn bei vielen seiner Krinoiden nicht nur Stiel und Krone, sondern auch die „Mundöffnung zwischen den Höckern“, und — man höre und staune — sogar Muskelschichten ganz deutlich beobachtet hat!!

Wenn man die angeblichen Organismen der Chondrit mit terrestrischen Formen vergleicht, so muss man für dieselben wohl auch ähnliche Existenzbedingungen vorausfetzen; aus dieser Voraussetzung muss man konsequent folgern, dass die Chondrit als ein Analogon der terrestrischen klastischen Gesteine zu betrachten find. Gegen diese mit logischer Notwendigkeit sich ergebende Auffassung spricht sich Herr Dr. Hahn auf das Entschiedenste aus und sucht für die Chondrit eine Bildungsweife geltend zu machen, welche unsere bisherigen Ansichten über die Kosmogonie wesentlich alteriert. Geht man indessen von den Prämissen, wie sie Herr Dr. Hahn aufgestellt hat, aus, und versucht auf streng logischem Wege die Schlüsse zu ziehen, so gerät man bald in ein Chaos von Widersprüchen, die absolut nicht zu lösen sind.

Auch vom Standpunkte des Chemikers könnte man dem Hahn'schen Werke mancherlei Einwendungen machen; ich will mich indessen darauf nicht weiter einlassen und nur noch erwähnen, dass man solche Ansichten, wie sie Herr Dr. Hahn z. B. über die Entstehung der Gebirge und über die Vulkane entwickelt, heutzutage selbst einem Laien unmöglich verzeihen kann.

Brünn, am 25. April 1881.